´´Stronger 2030´´
7/9/2025
„Stronger 2030“ – Stark für wen?
Eine kritische Analyse der neuen Daimler-Truck-Strategie
„Wir wollen das beste Lkw- und Busunternehmen der Welt schaffen.“
– Karin Rådström, CEO Daimler Truck
Mit diesen Worten eröffnete Karin Rådström den Kapitalmarkttag 2025 – flankiert von ambitionierten Zielen: Wachstum, Digitalisierung, Innovation, eine Rendite von über 12 Prozent bis 2030. Doch hinter dieser glänzenden Vision verbirgt sich ein massives Sparprogramm, das vor allem auf Kosten der Beschäftigten geht. Rund eine Milliarde Euro will Daimler Truck in Europa bis 2030 einsparen. Und das nicht irgendwo – sondern genau dort, wo das Unternehmen bislang seine industrielle Stärke entfaltet hat: in Deutschland.
5.000 Stellen – ohne Rücksprache?
Ein besonders heikler Punkt war die überraschende Nennung einer konkreten Zahl:
5.000 Stellen sollen bis 2030 wegfallen – das entspricht über 14 Prozent der rund 35.500 Arbeitsplätze in Deutschland.
„Wir haben in den Verhandlungen nicht über eine konkrete Zahl von abzubauenden Stellen gesprochen und wir haben auch nichts dergleichen vereinbart.“
– Michael Brecht, Gesamtbetriebsratsvorsitzender
Laut Unternehmensangaben soll der Abbau „weitgehend über natürliche Fluktuation und Altersteilzeit“ erfolgen. Doch auch „zielgerichtete Abfindungsprogramme“ sind explizit vorgesehen – eine Formulierung, die aufhorchen lässt. Besonders kritisch: Die Zahl wurde laut Gesamtbetriebsrat nie gemeinsam verhandelt, sondern „offenbar dem Kapitalmarkt zuliebe“ kommuniziert.
Bereits im Mai wurde ein Sparpaket beschlossen – inklusive struktureller Umstellungen. Der Gesamtbetriebsrat hatte dem zugestimmt. Doch dass nun eine konkrete Zielzahl ohne weitere Abstimmung nachgeschoben wurde, hat intern für große Irritationen gesorgt.
Der Gesamtbetriebsrat fühlt sich vorgeführt – doch stellt sich damit auch die Frage, wie eng er selbst die bisherigen Maßnahmen kontrolliert hat. Denn im Mai hatte er einem Sparpaket mit weitreichenden strukturellen Folgen ausdrücklich zugestimmt.
Zukunftssicherung 2034 – ein Versprechen mit Lücken
Immer wieder verweist der Vorstand auf die verlängerte „Zukunftssicherung“ bis Ende 2034. Betriebsbedingte Kündigungen seien damit ausgeschlossen, alle deutschen Standorte angeblich „abgesichert“.
Doch was auf dem Papier stabil klingt, ist inhaltlich schwer zu fassen: Der dazugehörige Zukunftstarifvertrag liegt bis heute nicht öffentlich vor – weder Belegschaft noch Öffentlichkeit haben Einblick in die genauen Bedingungen. Zugleich werden Verlagerungen, Fremdvergaben und sogenannte „Make-or-buy“-Prozesse vereinbart. Kriterien? Offenbar einzig: „nachweislich günstiger“.
„In der Vergangenheit wurden schon oft Stellen abgebaut, obwohl es nicht wirtschaftlich war – und das wollen wir dieses Mal verhindern.“
– Michael Brecht
Ein berechtigter Anspruch – doch wie überprüfbar ist das Ziel ohne verbindliche Regeln und Transparenz?
Produktion: Verlagerung statt Investition
Mehr als 20 Prozent der europäischen Lkw-Produktion sollen künftig in Länder mit niedrigeren Lohnkosten verlagert werden – zur Einsparung von bis zu 3.000 Euro pro Fahrzeug. Beobachter vermuten unter anderem die Türkei als Zielregion.
In Deutschland hingegen steigt der Anteil der Leiharbeit auf bis zu 18 Prozent. Zugleich wird die Produktion am Standort Wörth, dem größten Werk mit rund 10.000 Beschäftigten, zur Disposition gestellt. Interne Prüfungen zeigen: Es wird konkret nach Alternativen in Osteuropa gesucht.
Derweil werden Beschäftigte in Stuttgart, Mannheim, Kassel und Wörth mit zunehmender Unsicherheit konfrontiert – gerade dort, wo die industrielle Wertschöpfung über Jahrzehnte gewachsen ist.
Forschung & Entwicklung: Know-how in Gefahr
Im Bereich Forschung & Entwicklung sollen rund 100 Millionen Euro eingespart werden – gleichzeitig wird der Outsourcing-Anteil bis 2030 auf 40 Prozent erhöht. In der Konzernzentrale wird offenbar sogar geprüft, ob F&E-Leistungen ausgelagert und ins Ausland verlegt werden können.
Was auf der Kostenseite kurzfristig attraktiv wirkt, bedeutet langfristig: Verlust an Know-how, Innovationskultur und innerbetrieblichem Wissen – in einem Bereich, der für die technologische Zukunft des Konzerns zentral ist.
Verwaltung & IT: Digitalisierung = Jobabbau
In Vertrieb, Verwaltung und IT sollen jeweils rund 100 Millionen Euro wegfallen. Besonders betroffen: die Zentrale in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart. Hier sollen 20 Prozent der Stellen abgebaut werden.
„Unsere Effizienzmaßnahmen in den Zentral- und Verwaltungsfunktionen führen zu einem Wegfall von zirka 20 Prozent der Stellen.“
– Achim Puchert
Die Digitalisierung wird dabei nicht als Chance zur Qualifizierung genutzt – sondern schlicht als Sparmaßnahme. Weiterbildung? Umschulung? Fehlanzeige. Der Abbau trifft vor allem administrative und unterstützende Funktionen – gerade jene, die für das operative Rückgrat des Unternehmens sorgen.
Rhetorik des Fortschritts, Realität des Abbaus
„Lasst uns Daimler Truck auf das nächste Level bringen – gemeinsam, als ein starkes Team.“
– Karin Rådström
Doch was bedeutet „gemeinsam“, wenn tausende Menschen den Konzern verlassen müssen? Was heißt „Team“, wenn Prozesse ausgelagert, Standorte entkernt und Beschäftigte durch externe Dienstleister ersetzt werden?
Gleichzeitig setzt die Unternehmenskommunikation auf sprachliche Beschönigung:
„Stellenentfall“, „zielgerichtete Abfindungen“, „natürliche Fluktuation“ – Formulierungen, die soziale Härten verschleiern.
Der Gesamtbetriebsrat zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Der Gesamtbetriebsrat betont, man habe „alle Standorte abgesichert“ – doch mit Blick auf das Gesamtbild zeigt sich: Die Belegschaft zahlt den Preis für Renditeziele, Aktienrückkäufe (weitere 2 Milliarden Euro bis 2027) und Wachstumsversprechen an die Börse. Die Rendite soll auf über 12 Prozent steigen – im besten Fall sogar auf 13 Prozent, um mit Volvo Trucks gleichzuziehen.
„Sparen allein ist keine Strategie. Wir brauchen gute Produkte und eine klare Wachstumsstrategie.“
– Michael Brecht
Richtig – aber diese Forderung kommt spät. Viele Beschäftigte hätten sich das vor den Verhandlungen im Mai gewünscht, nicht erst danach.
Fazit: Fortschritt mit sozialer Schieflage
„Stronger 2030“ ist ein Programm der unternehmerischen Klarheit – aber auch eines der sozialen Unsicherheit. Während Investoren klare Botschaften und hohe Ausschüttungen erhalten, bleiben viele Beschäftigte im Unklaren über ihre eigene Zukunft.
Der Zukunftstarifvertrag bleibt intransparent, die versprochene „Absicherung“ formal – aber kaum erlebbar. Die neue „Leistungskultur“ klingt gut – aber sie basiert auf Abbau, Verlagerung und Verdichtung.
„Wir haben, was es braucht, um erfolgreich zu sein.“
– Karin Rådström
Mag sein.
Aber: Wer gehört am Ende noch zu diesem „Wir“ – und wer nicht?
Philipp Tiland (Truck Initiative Kassel)