Zukunft sichern (Ergänzung)

ARTIKEL 2025

12/5/2025

Zukunft sichern (Ergänzung zum Redebeitrag)

Wenn man sich die aktuelle Kommunikationslinie unseres Unternehmens ansieht, entsteht ein merkwürdiger Widerspruch. Wir hören von Effizienz, von Simplifizierung, von schnellerer Entscheidungsfindung, von einer stärkeren Performance-Kultur. Das alles steht sauber formuliert in Präsentationen, es hängt als Leitmotiv an Wänden, es strukturiert Workshops und Zukunftsbilder. Es klingt nach Aufbruch, nach Modernisierung – nach einem Unternehmen, das bereit ist, mutig in die Zukunft zu investieren.

Doch dann legt man diese Hochglanzbotschaften neben die realen Entscheidungen – und plötzlich wirkt vieles widersprüchlich, ja geradezu paradox.

Wir sollen jedes Jahr eine Milliarde Euro einsparen. Eine Milliarde! Das wird uns als zwingend notwendig verkauft, als alternativlos und als Beitrag zur Zukunftssicherung. Wir alle wissen, was das bedeutet: weniger Personal, weniger Ressourcen, weniger Handlungsspielraum in den Teams, mehr Druck in den Werken, mehr „Effizienz“ auf dem Papier und mehr Belastung in der Realität.

Und während wir unten lernen sollen, mit weniger auszukommen, wird oben zur gleichen Zeit eine andere Zahl genannt: vier Milliarden Euro für Aktienrückkäufe.

Vier Milliarden.

Diese Zahl steht im Raum wie ein Fragezeichen, das sich weigert, kleiner zu werden.

Denn wir sollen Sparprogramme akzeptieren, aber gleichzeitig tolerieren, dass ein Vielfaches davon in Rückkäufe gesteckt wird – angeblich, um „Vertrauen in das eigene Unternehmen zu zeigen“.

Da stellt sich die Frage:
Wer soll hier eigentlich wem Vertrauen beweisen?

Wenn ein Unternehmen mit 100.000 Beschäftigten und Milliardenumsatz erst Vertrauen „zeigen“ muss, indem es 4 Milliarden in die eigene Aktie pumpt – was sagt das dann über die Substanz aus?

Glaubt uns der Markt nicht?
Glauben wir uns selbst nicht?
Glaubt das Management, dass Vertrauen sich nicht durch Produkte, Qualität und Zukunftsfähigkeit aufbaut, sondern durch kostspielige kosmetische Eingriffe ins Kursbild?

Und noch dringlicher:
Wer, wenn nicht wir Beschäftigten, trägt denn dieses Unternehmen jeden Tag?
Wer beweist denn täglich Vertrauen?

Wir alle erscheinen jeden Morgen, wir halten die Werke am Laufen, wir bauen die Fahrzeuge, die unseren Ruf tragen, wir entwickeln die Technologien, die unsere Zukunft sichern sollen. Wenn irgendjemand Vertrauen zeigt, dann wir. Und das ohne 4 Milliarden, ohne Rückkaufprogramme, ohne „Signalwirkung“.

Wenn Vertrauen wirklich der Grund wäre – dann würde man dieses Geld dahin investieren, wo Vertrauen entsteht: in Qualität, in Innovation, in unsere Standorte, in die Menschen, die jeden Tag die Wertschöpfung dieses Unternehmens erbringen.

Doch stattdessen investieren wir in etwas anderes: einen kurzen Ausschlag im Aktienchart.

Das führt zu der Frage, die viele von uns umtreibt, die aber selten laut ausgesprochen wird:

Fällt uns wirklich nichts Besseres ein, als 4 Milliarden zu verbrennen, nur um Kursstabilität vorzutäuschen?

Denn wir dürfen die Fakten nicht ignorieren:
Ein Aktienrückkauf ist kein Geschäftsmodell.
Er schafft keinen Wert, er verschiebt ihn nur.
Er ist kein Zukunftskonzept, sondern eine gegenwartsfixierte Maßnahme.
Kurzfristig nett, langfristig irrelevant.

Wenn wir diese 4 Milliarden stattdessen in unsere Werke investiert hätten – in Materialqualität, moderne Prozesse, Digitalisierung, Transformation, bessere Logistik, robustere Produktion, schnellere Abläufe – hätte die Aktie dann nicht wirklich nachhaltig profitiert?

Natürlich hätte sie das.

Denn Märkte belohnen nicht kosmetische Eingriffe, sondern strukturelle Stärke.
Nicht Rückkäufe, sondern Zukunftsfähigkeit.
Nicht das Schönrechnen der Gegenwart, sondern das ernsthafte Bauen der Zukunft.

Und genau hier kommen wir zum größten blinden Fleck dieser Debatte:

den systemischen Interessenkonflikt.

Wenn Boni des Vorstands an Aktienkurs und Einsparzielen hängen, nicht aber an Arbeitsplatzsicherheit, Standortentwicklung oder langfristiger Innovationskraft – ja was glaubt man denn, wohin Entscheidungen dann tendieren?

Natürlich in die Richtung, die sich für einige wenige lohnt.
Nicht zwingend in die Richtung, die für das Unternehmen das Beste wäre.

Das ist kein Vorwurf an einzelne Personen.
Es ist schlicht ein strukturelles Problem.
Ein Problem im Design der Anreize.
Ein Problem, das man lösen könnte – wenn man es denn lösen wollte.

Und so bleibt die Frage im Raum:

Nennt man das nachhaltig?
Oder nennt man das einfach nur schnelle Kurskosmetik?

Denn eines steht fest:
Eine Aktie steigt langfristig nicht, weil sie zurückgekauft wird.
Sie steigt, wenn ein Unternehmen überzeugt.
Mit Produkten.
Mit Innovationen.
Mit Verlässlichkeit.
Mit Stärke.

Und Stärke kommt aus den Werken.
Aus den Teams.
Aus den Köpfen und Händen der Beschäftigten.
Nicht aus Rückkaufprogrammen.

Es wäre also nicht nur moralisch richtig, sondern betriebswirtschaftlich klüger gewesen, diese 4 Milliarden dorthin zu stecken, wo sie echten Wert schaffen: in uns, in die Produktion, in Entwicklung, in Zukunft.

Wir werden Jahr für Jahr zur Sparsamkeit verpflichtet.
Gut.
Aber dann sollten wir auch erwarten dürfen, dass das Unternehmen mit derselben Disziplin investiert – nicht in kosmetische Effekte, sondern in echte Zukunftsfähigkeit.

Denn Zukunft baut man nicht durch Verzicht unten und Milliardenmaßnahmen oben.
Zukunft baut man durch Vernunft, durch langfristiges Denken, durch Mut – und durch den Willen, das Richtige zu tun, nicht das Schnellste.

Und wir, die jeden Tag dieses Unternehmen tragen, verdienen genau das.

Philipp Tiland